Tagungsbericht zum Exportkontrolltag 2014
Problematik der Exportkontrolle
Die Problematik der Exportkontrolle zeigt sich im Detail. Zum Beispiel Frequenzumrichter: Sie sind zwar notwendiges Betriebselement für Aufzüge und Rolltreppen, manipuliert jedoch kann man durch sie Motoren fremder Kraftwerke steuern und lahmlegen. Auf der Dual-Use-Güterliste der EU geführt, könnten sie nicht ins Ausland verkauft werden – wodurch deutsche Unternehmen am Handel mit Aufzügen insgesamt gehindert würden, denn das wichtigste Ersatzteil dürften sie nicht liefern.
Wie also sind Sicherheitsrisiken zu minimieren, zugleich aber Deutschlands und Europas Wettbewerbsfähigkeit zu sichern? Danach fragte der 8. Exportkontrolltag am 20. und 21. Februar 2014 im Münsteraner Schloss, der wie jedes Jahr vom Zentrum für Außenwirtschaftsrecht (ZAR) und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) veranstaltet wurde.
Seine rund 350 Teilnehmer begaben sich auf einen Grenzgang samt Orientierungslauf, gemäß dem Tagungsthema „Grenzen und Ziele“. Der Exportkontrolltag hat gezeigt: Ihre Grenzen findet die Exportkontrolle im Kampf gegen Cyberkriminalität und dem Administrationsaufwand der Unternehmen, ihre Ziele liegen darin, Kriege zu verhindern und die unternehmerische Eigenverantwortung zu stärken.
Prof. Dr. Dirk Ehlers, Vorstand des ZAR, begrüßte die Teilnehmer zum „Familientreffen der Exporteure“ und zeichnete ein Bild der aktuellen Exportlage: Zwar sei der Exportaufschwung vorerst beendet, doch mit 198 Mio. Euro mache der Exportüberschuss mehr als 7 % des Bruttoinlandsprodukts aus. Wer der deutschen Wirtschaft vorhalte, sie gefährde die Stabilität der anderen EU-Staaten, übersehe aber deren Vorleistungen für deutsche Exportprodukte. Mit Spannung erwartete Prof. Dr. Ehlers die am 15. April anstehende Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts über Informationsrechte des Parlaments an Entscheidungen des Bundessicherheitsrates (Export von Leopard-Panzern).
„Günstige Winde kann der nutzen, der weiß, wohin er will“ – diesen Spruch Oscar Wildes ergänzte Dr. Arnold Wallraff, Präsident des BAFA, für die Exportwirtschaft: Sie müsse auch wissen, wohin sie darf. Um die Rolle des BAFA zu veranschaulichen, beschrieb Dr. Wallraff die vier Eckpfeiler seines Hauses: Es müsse weltweite Sicherheitsrisiken einschätzen; als Teil der Eingriffsverwaltung Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und -verordnung (AWV) durchsetzen – „wer nicht hören will, muss fühlen“; zugleich aber, als Dienstleister am Kunden, nur so viel kontrollieren wie nötig; schließlich dürfe die Behörde nicht die Ziele der Bundesregierung unterlaufen, welche bezweckt, die Verteidigungsindustrie zu erhalten, Rüstungsexporte aber insgesamt zu verringern und nationale Exportkontroll-Regelungen EU-weit zu harmonisieren.
Paul Freiherr von Maltzahn, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, skizzierte die sicherheitspolitische Lage in der islamischen Welt: Wie ein Strohfeuer haben sich die Unruhen von Algerien bis Ägypten ausgebreitet, wurden aber rasch gelöscht, als die Aufstände niedergeschlagen wurden – „der Funke kam aus Tunesien“, entflammte die „Fackel der Demokratie“ aber nur in wenigen Fällen. Ein tiefes Bewusstsein für die Trennung von Religion und Staat fehle den islamischen Ländern noch, doch er sei überzeugt, dass Islam und Demokratie grundsätzlich vereinbar seien, wie das Beispiel Tunesiens zeige.
Die „Kosten des Krieges“ errechnete Prof. Dr. Tilman Brück, Direktor des Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI). Seinen Studien zufolge kosten Kriege 16 % des weltweiten Bruttoinlandsprodukts; sie sind damit für die Menschheit so teuer wie der Klimawandel. Während Industrieländer von Kriegen in anderen Ländern profitieren – Rüstungsexporte und Zulieferleistungen kurbeln die Wirtschaft an –, sind Entwicklungsländer die ökonomischen Verlierer von Kriegen. Kriege müssten daher nicht behandelt, sondern verhindert werden: „Vorsorge ist billiger als Heilung – und Krieg ist sehr, sehr teuer.“ Sicherheit habe ihren ökonomischen Preis, und je geringer der Preis sei, desto besser.
Dr. Thomas Lindner, ehemaliger Präsident des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA), kritisierte die aus VDMA-Sicht zu exzessiven Instrumente der Exportkontrolle. Nach den neuen Kriterien umfasse die Dual-Use-Güterliste auch frei verfügbare Massenwaren wie Frequenzumrichter, sodass die Behörden zehntausende genehmigungspflichtige Vorgänge im Jahr bewältigen müssten – der Aufwand für Unternehmen wie Behörden sei immens („Wofür soll das eigentlich gut sein?“).
Applaus des Auditoriums erntete Lindner mit dem Ausruf, die Dual-Use-Liste habe den Konsens zwischen Industrie und Politik eindeutig verlassen. Da die Industrie die Verwendungsabsichten der Abnehmer am besten einschätzen könne, setze der VDMA mehr auf Eigenprüfungen als auf Sanktionslisten. Auch eine EU-weite Rechtsharmonisierung der Eingriffsbefugnisse bei bloßen Verdachtsmomenten, sodass alle Staaten den Hinweisen aus anderen Staaten nachgehen müssten, lehne der VDMA wegen der zu starken Berichtspflichten ab.
Prof. Dr. Gabi Dreo Rodosek (Institut für Technische Informatik, Universität der Bundeswehr München) eröffnete das Diskussionsforum mit einem Vortrag über Cyberkriminalität: Weltweit würden 5,5 Milliarden Cyber-Attacken registriert, unter ihnen Stuxnet, Flame und Mini-Flame; die Dunkelziffer sei aber sehr viel höher. Elektrische Geräte böten eine weltweite Angriffsfläche, da sie miteinander weitreichend vernetzt seien. Als Beispiel neuer Cyber-Attacken nannte Prof. Dr. Dreo Rodosek das car hacking, also die Kontrolle des Autos von außen über Funk. Neue smart attacks passten sich den Technologien an, seien schwer zu ermitteln und könnten über Jahre unerkannt in fremden Systemen „schlafen“ (sleeper), um im gewünschten Moment zuzuschlagen.
In der anschließenden Diskussion unter Moderation von Uwe Proll (Chefredakteur des Behördenspiegels) erläuterte Andreas Könen (Vizepräsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI) die drei Arten der Cyberangriffe: Zum einen Internetangriffe auf private PCs, um das Opfer zur Geldzahlung zu zwingen, zum anderen Spionageangriffe, um Informationen zu erlangen, schließlich Cybersabotage, bei der z.B. ein persistenter Virus in das Netz eines Kraftwerks eingeschleust wird, um es Jahre später auszuschalten. Sorgen um zu starke Meldepflichten durch das geplante IT-Sicherheitsgesetz, wonach Unternehmen Cyberangriffe auf ihre Software melden müssen, wiegelte Koenen ab: Sie betreffe nur kritische Infrastrukturen und verlange nur Informationen über Art und Typen der Angriffe.
Die Diskussion machte deutlich: Der neue Patient Cyberspace ist mit den alten Instrumenten des Rechts nur schwer zu operieren. Auf die Frage nach der räumlichen Verortung des Cyberspace antwortete Dirk Brengelmann (Sonderbeauftragter des Auswärtigen Amtes für Cyber-Außenpolitik), es gebe eindeutige territoriale Zuständigkeiten, indem sich etwa Regierungen austauschen, wie sie im Cyberspace auftreten. Jeder Staat müsse seine „technologische Souveränität“ behalten und sich entscheiden, ob er das freie Netz fördern oder regulieren wolle. Auch Prof. Dr. Götz Neuneck (Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik, Universität Hamburg) beklagte den Mangel an Normen auf internationaler Ebene und strich als wichtigstes Ziel der nahen Zukunft die Resilienz der IT-Systeme heraus: Sie müssten auf Cyberattacken reagieren und trotz einzelner Fehlfunktionen stabil bleiben.
Über aktuelle Entwicklungen der internationalen Waffenkontrolle berichtete Dr. Julia Monar, Referatsleiterin im Auswärtigen Amt. Während die Vernichtung chemischer Kampfstoffe aus Libyen bereits abgeschlossen sei, sollen noch 370 Tonnen Reststoffe syrischen Senfgases in Deutschland vernichtet werden. Gegenüber dem Iran werde die „gesamte Sanktionsarchitektur“ beibehalten. Für den asiatischen Raum berichtete Dr. Monar vom 2013 gemeinsam mit China präsentierten Handbuch der Exportkontrolle und der Hochtechnologie-Partnerschaftsgruppe mit Indien. Dem im Juni 2013 von Deutschland unterzeichneten Arms Trade Treaty (ATT) bescheinigte sie einen „außerordentlich guten Start“. Handelshemmnisse bereite der ATT der deutschen Wirtschaft nicht: Sie profitiere vielmehr von international einheitlichen Kriterien.
Den aktuellen „Bericht aus Berlin“ lieferte Karl Wendling, Unterabteilungsleiter im Bundeswirtschaftsministerium. Zum Streitpunkt, wie transparent die Entscheidungen des Bundessicherheitsrates (BSR) ausfallen sollen, unterstrich Wendling die Eigenständigkeit der Exekutive: Die Genehmigung von Rüstungsexporten sei Sache der Administrative, dem Parlament obliege die Kontrolle. Daher sei es zu heikel, müsste der BSR dem Bundestag bereits Voranfragen über Verkaufsabsichten offenbaren. Wegen berechtigter Geheimhaltungsinteressen der ausländischen Unternehmen müsse es bei der nachträglichen Information bleiben. Das „Horrorszenario“ der Frequenzumrichter-Handelssperre könne er nicht bestätigen: Ziel sei, durch eine neue Allgemeingenehmigung die meisten Länder aus dem Verkaufsverbot herauszunehmen und nur Staaten vom Export auszuschließen, die einem Waffenembargo unterliegen.
Peter Bille, Unterabteilungsleiter im Bundesministerium der Finanzen, erläuterte den Unions-Zollkodex (UZK), der 2013 verabschiedet wurde und 2016 in Kraft treten wird. Art. 3 UZK betone das angemessene Gleichgewicht von Zollkontrolle und Handelsfreiheit. Bille unterstrich, wie notwendig die partnerschaftliche Zusammenarbeit von Zoll und Unternehmen für einen einwandfreien Ablauf des Exporthandels seien. Angesichts der immensen Zahl an Sendungen seien weitere Verfahrenserleichterungen unabdingbar, insbesondere vereinfachte Zollanmeldungen, zentrale Zollabwicklungen, die Zulassung weiterer zugelassener Wirtschaftsbeteiligter (Authorized Economic Operator, AEO) und verstärkte Möglichkeiten der Selbstveranlagung (self-assessment).
Stephan Morweiser, Oberstaatsanwalt bei der Generalbundesanwaltschaft beim BGH, informierte über die Neuregelung des AWG und die aktuelle Rechtsprechung. Zunächst strukturierte er die Strafvorschriften: Während vorsätzliche Akte Straftaten nach §§ 17, 18 AWG darstellen, handele es sich bei fahrlässigem Handeln um Ordnungswidrigkeiten, § 19 I AWG. Als Beispiel des bedingten Vorsatzes erläuterte er das Urteil des OLG Koblenz vom 11. 05. 2009, in dem sich ein Unternehmen Gedanken über den wahren Endabnehmer (eine gelistete iranische Rüstungsorganisation) machen musste.
Stärkstes Indiz für vorsätzliches Handeln seien Manipulationen an den Angaben gegenüber dem BAFA. Bei der neugeschaffenen Möglichkeit der Selbstanzeige nach § 22 IV AWG lägen erst wenige Praxisfälle vor; ihre Anwendbarkeit auf Taten nach § 19 II AWG sei dem Gesetzgeber missglückt. Zur problematischsten Voraussetzung der Selbstanzeige (angemessene Compliance-Maßnahmen des Unternehmens) verneinte Morweiser einen Beurteilungsspielraum der Verwaltung ausdrücklich. Aus der neuen Rechtsprechung stellte er die Urteile des BGH vom 15. 10. 2013 und des OLG Hamburg vom 8. 11. 2013 vor.
Dr. Kerstin Hahn (Leiterin Unternehmensschutz, ZF Friedrichshafen AG) stellte der AWG-Novelle ein Zwischenzeugnis aus unternehmerischer Sicht aus. Sie lobte die verständlichen Definitionen (z.B. „Inland“ statt „Wirtschaftsgebiet“, „Ausländer“ statt „Gebietsfremder“) und die nutzerfreundliche Kürzung des AWG auf praxisrelevante Paragrafen, zeigte sich abwartend gegenüber dem praktischen Erfolg der Selbstanzeige und bemängelte den erheblichen organisatorischen Aufwand, den die Merkblätter und Listenänderungen des BAFA den Unternehmen bereiteten. Angesichts einer „Unmenge an EU-Verordnungen“ mahnte Dr. Hahn zu besserer Transparenz auch im internationalen Kontext: „Vom großen Tempel der Exportkontrolle ist nur eine Tür neu gestrichen worden.“
Zum Abschluss des Praxisforums berichtete Holger Beutel, Unterabteilungsleiter im BAFA, über die Verfahrenserleichterungen des neuen AWG. Allgemeine Genehmigungen (AGG) böten den Vorteil, dass unter sie fallende Ausfuhren automatisch genehmigt seien. Hinsichtlich der Frequenzumrichter beruhigte Beutel die Teilnehmer: Eine neue AGG (Nr. 28) werde im Sommer veröffentlicht. Sammelgenehmigungen (SAG) ermöglichten es, Händlern mit abgeschlossenem Endkundenkreis die Ausfuhr bestimmter Güter ohne aufwendige Einzelgenehmigungen zu erlauben.
Prof. Dr. Hans-Michael Wolffgang (Vorstand des ZAR), schloss die Tagung, indem er den Referenten und Teilnehmern aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Behörden dankte. Der 9. Exportkontrolltag ist für Februar 2015 vorgesehen.
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[*] Der Verfasser Holger Stellhorn ist Rechtsreferendar am Landgericht Münster. ↩