Bericht
18. Außenwirtschaftsrechtstag 2014

18. Außenwirtschaftsrechtstag 2014 in Münster

Die WTO nach Bali – Chancen und Risiken

Nachdem die 9. Ministerkonferenz der WTO im Dezember 2013 auf Bali ein Paket zur Erleichterung von Handelsmaßnahmen verabschiedet hatte (v. a. das Trade Facilitation Agreement, TFA), scheiterte die Umsetzung des Abkommens vorerst Mitte 2014 an der Blockade Indiens. Vor diesem Hintergrund einer unsicheren Rechtslage sah Prof. Dr. Dirk Ehlers, Vorstand des Zentrums für Außenwirtschaftsrecht (ZAR) an der Universität Münster, dem 18. Außenwirtschaftsrechtstag „mit Bangen entgegen“.

Kann es der WTO praktisch wie rechtlich gelingen, die multilateralen Verhandlungen aus der „Geiselhaft“ einzelner Mitgliedstaaten zu befreien? Ist es sinnvoll, durch bi- und plurilaterale Freihandelsabkommen schneller zur Einigung zu gelangen, oder schwächt man dadurch den freien Welthandel?

Diesen Fragen widmete sich der 18. Außenwirtschaftsrechtstag, der am 16. und 17. Oktober 2014 mit rund 70 Teilnehmern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in Münster stattfand. Die Tagung begann 1996 und wurde im jährlichen Turnus durchgeführt, sie dient seither als Forum für die wissenschaftliche Befassung mit den Fragen des Außenwirtschaftsrechts.

2014 wurde sie letztmalig von den Mitarbeitern der Professoren Dr. Ehlers und Dr. Hans-Michael Wolffgang (ebenfalls Vorstand des ZAR) organisiert und wird zukünftig unter neuer Leitung fortgeführt.

18. Außenwirtschaftsrechtstag 2014

In seiner Begrüßungsansprache skizzierte Prof. Dr. Ehlers die Lage des Welthandelssystems: Nachdem die WTO seit ihrer Gründung keine substantiellen multilateralen Veränderungen gebracht habe, was am single-undertaking-Grundsatz liege – vor Verabschiedung einzelner Teile muss eine Gesamtverständigung getroffen werden –, sei die Doha-Runde mit dem TFA „endlich einen Schritt vorangekommen“. Von einem „Wunder“ zu sprechen, sei kaum angebracht; immerhin aber habe die WTO ihren Stillstand überwunden. Auch angesichts der Blockade des TFA durch Indien zeigte sich Prof. Dr. Ehlers zuversichtlich: Eine Lösung müsse gefunden werden und werde gefunden.

Dr. Nora Neufeld (WTO-Sekretariat) erläuterte das Übereinkommen über Handelserleichterungen aus Sicht der WTO: Als erster erfolgreicher multilateraler Vertrag unter WTO-Schirmherrschaft sei das TFA das bisherige Hauptresultat der Doha-Runde und als solches „kein kleines Ergebnis“. Obwohl man die Relevanz des TFA noch nicht abschließend beurteilen könne, lasse sich bereits erkennen, dass es zukünftige Handelserleichterungsreformen beeinflussen werde: Bilaterale Abkommen orientierten sich inhaltlich am TFA.

Allerdings räumte Dr. Neufeld ein, dass – sollte das TFA endgültig am Widerstand Indiens scheitern – viele Länder genauer prüfen würden, ob sie mühevolle WTO-Verhandlungen noch auf sich nehmen wollten. Zur Einbeziehung der Entwicklungsländer zeige die WTO eine „neue Philosophie“: Sie richte den Fokus auf jedes einzelne WTO-Mitglied statt auf die Gruppe aller Entwicklungsländer; sie gestalte sich dadurch weitaus flexibler und sichere den Entwicklungsländern mehr Hilfe zur Umsetzung eines Abkommens zu als zuvor.

Die Sicht der Wirtschaft zum TFA verdeutlichte Oliver Wieck, Generalsekretär der Internationalen Handelskammer Deutschland: Sie betrachte den multilateralen Ansatz als Königsweg, auch wenn die WTO momentan eine kritische Phase durchlaufe. Mit einer Steigerung des weltweiten Bruttoinlandsprodukts um 700 Mrd. € und 21 Mio. neuen Arbeitsplätzen belebe das TFA den Welthandel.Wieck stellte die Maßnahmen zur Handelserleichterung im Einzelnen vor; eines der zentralen Elemente sei das Prinzip der verbindlichen Zolltarifauskunft. Dass die Umsetzungsfristen für Entwicklungsländer bereits vor der Ratifizierung des TFA in drei Kategorien eingeteilt wurden (A-, B- and C-Commitments), sei aus Sicht der Wirtschaft „fast der größte Erfolg der Abkommens“, da so Planungssicherheit für Unternehmen geschaffen werde.

Prof. Dr. Wolffgang referierte über Handelserleichterungen durch die Weltzollorganisation (World Customs Organization, WCO). Während die Doha-Runde „wie ein Tiger gestartet und wie ein Bettvorleger gelandet“ sei, habe die WCO als „kleine Schwester der WTO“ bereits zahlreiche technische Abläufe des globalen Handels vereinfacht. Prof. Dr. Wolffgang stellte die Instrumente der WCO vor, insbesondere verglich er die Revised Kyoto Convention (RKC), ein Übereinkommen zur Vereinfachung der Zollverfahren, mit dem TFA: Viele Elemente des TFA seien bereits in der RKC enthalten. Zwar sei die RKC „ein bisschen zahnlos“, da ihr der WTO-Streitbeilegungsmechanismus fehle, aber praktisch setzten viele Länder die RKC allein aus eigenem Interesse um. Mit dem SAFE-Framework bezwecke die WCO, internationale Lieferketten zu sichern und vor Anschlägen zu schützen; auch bei einem Scheitern des TFA wären also praktikable WCO-Instrumente vorhanden.

Auf das „magische“ Dreieck aus Landwirtschaft, Waren- und Dienstleistungshandel ging Kai Wagner (WTO-Abteilung bei der ständigen deutschen Vertretung in Genf) ein. Da die drei Ziele faktisch erreicht werden könnten, einzig der fehlende Wille einzelner Länder entgegenstehe, handle es sich um ein „rein politisch konstruiertes ‚magisches‘ Dreieck“. Indiens Lebensmittelsubventionen müssten nach WTO-Regeln im Grunde abgebaut werden. Die auf Bali vereinbarte peace clause sei nur als Zwischenlösung bis 2017 gedacht, auf deren Grundlage Indien nicht im WTO-Streitbeilegungssystem verklagt werde; dieses Zugeständnis dürfe nicht neu verhandelt werden. Indiens Blockade sei „rein politisch motiviert und populistisch“, in Wahrheit bestehe kein Konflikt zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten. Sollte keine Lösung gefunden werden, sei das Konsensprinzip als eines der wichtigsten WTO-Prinzipien geschwächt.

Bedarf die WTO-Verhandlungsführung der Modernisierung? Dieser Frage widmete sich Prof. Dr. Frank Hoffmeister, stellvertretender Kabinettschef des EU-Handelskommissars De Gucht. Er sah den „großen politischen Dissens“ der Doha-Runde in dem Streit, ob China noch Entwicklungsland sei (so Chinas eigene Sicht) oder bereits zwischen Entwicklungs- und Industrienation stehe (so die EU). Die Mühen um einen einstimmigen Konsens in allen Entscheidungen der Ministerkonferenz bezeichnete Prof. Dr. Hoffmeister als „politisches Mantra“: Juristisch sehe Art. 10 Abs. 1 S. 6 des WTO-Abkommens nur eine Zweidrittelmehrheit vor. Als Fazit konstatierte er, dass es auch vielversprechende Wege außerhalb der WTO gebe, diese aber eines großen politischen Mutes bedürften.

Lothar Ehring (Generaldirektorat Handel der EU-Kommission) untersuchte das Verhältnis der plurilateralen Freihandelsabkommen zur WTO. Seit 2002 hätten bilaterale Handelsabkommen stark zugenommen, dahinter stehe der Gedanke der competitive liberalisation: Wer nicht liberalisiere, erleide einen Wettbewerbsnachteil. Ehring skizzierte den WTO-Rechtsrahmen solcher Freihandelsabkommen, insbesondere Art. XXIV:5 GATT und Art. V GATS. Der Streitbeilegungsmechanismus bilateraler Abkommen sei aber meist „weitaus weniger wert“ als das WTO-System, denn die WTO blicke auf eine zuverlässige lange Rechtsprechung zurück und verfüge über ein institutionelles Rückgrat wie das WTO-Sekretariat und eine Revisionsinstanz.

Dr. Hans-Joachim Prieß LL.M. (Freshfields Bruckhaus Deringer, Berlin) stellte die Neuerungen des WTO-Beschaffungsabkommens vor (Government Procurement Agreement, GPA). Nachdem bislang Beschaffungstätigkeiten im Wert von 600 bis 1.700 Mrd. $ dem internationalen Wettbewerb zugänglich gemacht wurden, bringe die aktuelle Reform des GPA weitere 100 Mrd. $ an liberalisiertem Auftragsvolumen mit sich. Als plurilaterales Abkommen binde das GPA nur die Vertragsparteien, insbesondere Entwicklungsländer spielten kaum eine Rolle. Obwohl sich die Verhandlungen wegen Protektionismus-Tendenzen einzelner Staaten schwierig gestalteten, habe die Reform den Anwendungsbereich des GPA erweitert, sowohl in persönlicher Sicht (mehr als 200 neue Vergabestellen werden erfasst) als auch sachlich (z.B. auch Build-Operate-Transfer-Verträge). Als problematisch erwiesen sich die Verhandlungen mit China, das Ausschreibungen auf Provinzebene nicht öffnen wolle, worauf aber 93 % des Gesamtumsatzes im chinesischen Beschaffungswesen entfielen.

Über das Trade in Services Agreement (TiSA) und seine Vereinbarkeit mit dem GATS berichtete Dr. Rudolf Adlung (ehemals WTO-Sekretariat). Er diagnostizierte eine weltweit „explosionsartige Ausbreitung“ regionaler Dienstleistungsabkommen mit einem Anstieg auf 117 Verträge im Juli 2014, welche v. a. im Stillstand der Doha-Runde begründet sei. Das TiSA decke mit 70 % des globalen Dienstleistungshandels einen weiten Bereich ab. Der Rechtsrahmen des TiSA ergebe sich aus Art. V:1 GATS, wonach ein Dienstleistungsabkommen „substantial sectoral coverage“ (umfassenden sektoralen Geltungsbereich) und „absence of substantially all discrimination“ (Verzicht auf im wesentlichen jede Art von Diskriminierung) gewährleisten müsse.

Dr. Adlung warf die Frage auf, was der Begriff „substantial“ konkret bedeute – jedenfalls dürften Regionalabkommen nicht hinter dem GATS-Standard zurückbleiben. Als Schwachpunkt der TiSA-Verhandlungen benannte er die Bemühungen der EU, sich bestimmte GATS-minus-Elemente wie Gesundheits- oder Bildungsdienstleistungen vorzubehalten; deren Vereinbarkeit mit dem GATS sei fraglich. Möglicherweise könne man den Stillstand der WTO überwinden, indem man in Regionalabkommen Klauseln verankerte, die dem GATS bei Regelungskonflikten den Vorrang einräumten.

Dr. Christian Pitschas LL.M. (Bernzen Sonntag Rechtsanwälte, Genf) erörterte die Verhandlungen zur regulatorischen Konvergenz im Rahmen des TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership)-Abkommens. Unter regulatorischer Konvergenz verstehe man die Annäherung zwischen den Handelsnationen, um handelshemmende Wirkungen von behördlichen Eingriffen zu minimieren. Dieser Verhandlungsstrang habe das größte wirtschaftliche Potential, da die meisten Handelshemmnisse von nichttarifären Maßnahmen ausgingen. Die angestrebte Konvergenz zeige sich sowohl sektorenübergreifend (z. B. durch das Recht eines Staates, regulatorisch einzugreifen, durch prozedurale Regelungen wie eine Konsultation der Betroffenen oder institutionelle Regeln wie die Bildung eines Ausschusses) als auch sektorenspezifisch in Bereichen des Waren- oder Dienstleistungshandels; insbesondere der Finanzdienstleistungsbereich bedürfe der regulatorischen Konvergenz.

Dr. Pitschas stellte die Instrumente zur Herstellung von Konvergenz vor, die von einseitiger Anerkennung bis zur Rechtsangleichung reichen, und schlug vor, die angestrebte Transparenz nicht nur zwischen Regulierungsbehörden vorzuschreiben, sondern auch den Dienstleistungserbringern die Möglichkeit einzuräumen, zu einem Gesetzesentwurf Stellung zu nehmen. Schließlich untersuchte er die Kompetenz der EU zum Abschluss des TTIP: Neben Art. 207 Abs. 1 komme Art. 3 Abs. 2 AEUV als implizite Vertragsschlusskompetenz in Betracht. Insgesamt werde TTIP das transatlantische Verhältnis stärken und der EU wirtschaftlich von Vorteil sein.

Zum Abschluss der Tagung dankte Prof. Dr. Wolffgang den Referenten und Teilnehmern; ein Tagungsband wird wie gewohnt veröffentlicht. Er äußerte sich auch zur Zukunft der Tagung: Angesichts des wissenschaftlichen Bedarfs werde der Außenwirtschaftsrechtstag mit Sicherheit fortgeführt.